Erste Erinnerungen
Gestatten, Streuner. Ja. Ganz einfach Streuner. Nein, das ist nicht mein richtiger Name.
Natürlich habe ich einen richtigen Namen. Obwohl, wenn Ich es mir recht überlege ist mein richtiger Name auch kein richtiger Name. Ihr vesteht nicht?
Ich gab mir meinen richtigen Namen selber. Henk Hjaldinger nannte ich mich. Der Heimatlose. Bei den Trollen heiße ich Schaschrasch. Manche nennen mich auch einfach nur Fährmann. Und viele viele andere belegten mich mit vielen vielen anderen - weniger schmeichelhaften - Namen. Aber nennt mich ruhig Streuner. Diesen Namen gaben mir die Menschen der Straßen, Wege und Gassen des westlichen Barthavion. Ich mag ihn.
Also nochmal von vorne. Gestatten, Streuner. Und nun, da der Etikette genüge getan wurde, möchte ich anfangen meine Erinnerungen aufzuschreiben. Um sie zu bewahren, reifen zu lassen, und irgendwann genüßlich wie eine alte Flasche Wein hervorzuholen und zu genießen. Ihr versteht was ich meine. Vieles von dem, was ich euch erzählen werde, werdet ihr mir nicht glauben. Manche Dinge, derer ich mich erinnere, kann ich selber kaum glauben. Aber hiermit versichere ich feierlich und schwöre, dass ich nur das aufschreibe, was ich mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört habe. Mögen Dendron und alle anderen Schutzgötter mir dabei beistehen und mich mit Grimm strafen, sollte ich lügen!
Diese Geschichte beginnt in Freywall. Der einzige Ort in ganz Barthavion, den ich halbwegs Heimat nennen möchte. Ich lernte ihre engen dreckigen und stinkenden Gassen und ihre noch dreckigeren und viel übler stinkenden Spelunken in den 6 Jahren, die ich in Freywall blieb, wirklich lieben. Versucht gar nicht erst das zu verstehen. Über meine Zeit in Freywall oder über Freywall soll es an dieser Stelle auch nicht gehen. Davon werde ich später berichten. Heute möchte ich von zwei ganz besonderen Menschen erzählen, die ich in Freywall das erste Mal in meinem Leben traf.
Oder, wie sich heraus stellen sollte, eigentlich schon das zweite Mal, aber das habe ich bis heute nicht ganz verstanden. Ihr müsst wissen, diese beiden besonderen Menschen neigen oft dazu in Rätseln zu sprechen und habe den Drang sich in aussichtslose Situationen zu begeben. Denn sie sprechen nicht nur in Rätseln, sie jagen eben diesen auch durch ganz Barthavion hinterher. Den Rätseln, den Geheimnissen, den Abenteuern… oder bringen wir es alles auf einen Punkt: dem Ärger, der stets mit solchen Unternehmungen verbunden ist. Ich muss es wissen. Glaubt mir. Wobei ich hier anmerken und zugeben möchte, dass eben dieser Ärger auch mir ein stetiger Vertrauter geworden ist. Ich liebe ihn fast wie einen Bruder. Weshalb mich dieser gänzlich offensichtliche Charakterzug dieser beiden besonderen Menschen, die ich in Freywall kennenlernte, sofort gefiel. Umso erfreuter war ich natürlich, als ich an einem stickigen und heißen Abend im vortrefflichen "Tropfenden Kessel" von der Ankunft einiger Reisender hörte, von denen man wiederum gehört hatte, sie würden wohl weiter in die Öde reisen. In den nächsten Tagen erkundigte ich mich über diese Reisenden und fand heraus, dass sie anscheinend zu viert unterwegs waren: zwei Menschen und zwei Windlinge. Was für eine Zusammenstellung… Ich war gespannt auf diese Menschen, die anscheinend tatsächlich freiwillig über längere Zeit mit Windlingen verbringen konnten ohne wahnsinnig zu werden. Ich hörte einmal von einem Mann, der er sich aus irgendeinem Grund in eine Windlingsfrau verliebte. Wenn ihr mich fragt, so kann sie ihn nur verhext haben, allerdings fragt mich ja niemand und es wäre auch nicht von Belang. Denn inzwischen ist dieser Mann wohl nicht mehr mit dieser Windlingsfrau verheiratet. Das letzte was man von ihm hörte war, dass er nackt und brabbelnd durch die Wildniss irrte und ganz verweifelt versuchte einen Weg zu finden, sich seinen eigenen Kopf abzunagen… Mich überrascht das ja nicht.
Ich hörte ausserdem noch diese Reisenden seien mindestens so einfältig wie reich. Und man erzählte sich, dass anscheinend schon so mancher Stallbursche mit ihrem Trinkgeld eine eigene Gaststätte aufgemacht habe und immernoch genug Geld gehabt hätte um sich einen Schlägertrupp zu leisten, den alten Gastwirt zu vertreiben und noch mindestens einen Abend im nobelsten Freudenhaus der Stadt zu verbringen. Andere Gerüchte besagten wiederum, dass es sich bei einem von ihnen um einen großen Krieger handeln sollte, der eine Armee von Troll Luftpiraten in die Öde führen sollte. Wie schon gesagt, ich war wirklich sehr gespannt auf diese Fremden. Ich hoffte endlich meinen Weg in die Öde gefunden zu haben und beschloss direkt am ersten Abend auf das Fest zu gehen, dass sie den Gerüchten zu Folge in Freywall feiern wollten. Eine Hochzeit sollte es wohl werden. Und zwar im ganz großen Stil.
Ich verbrachte den Tag vorher durch die Stadt zu wandern und überlegte mir wie ich Johann, den Koch vom "Tropfenden Kessel", überreden könnte mit mir einige Runden Würfel zu spielen um mir etwas zu Essen zu verdienen. Und vor allem ging ich Jaran, seiner Arbeit und seinen vielen Gründen warum ich nicht auf das Fest der Reisenden gehen sollte aus dem Weg.
Abends war es dann soweit. Ich wollte mich so unauffällig wie möglich unter die Feiernden mischen. Eins der nobelsten Lokale war der Ort an dem gefeiert wurde, das legte nahe, dass zumindest das Gerücht mit dem Reichtum stimmte. Von einer Troll Luftpiraten Armee war in der Stadt allerdings nichts zu bemerken. Ich beschloss, dass ich als erstes die Möglichkeit nutzen musste vielleicht einige reiche Herren von der schrecklichen Last ihres vielen Geldes zu befreien, und vielleicht das eine oder andere Beutelchen Tobak zu ergattern. Meine gute Laune wurde allerdings etwas gedämpft, als ich auf der Party ankam. Alles voller Windlinge! Und es war ein ungeheures Gelage, weshalb der erste Schock auch schnell überwunden war. Vor allem als ich mir der vielen vielen reich gefüllten Beutel gewahr wurde, die alle scheinbar nur für mich klimperten, als wollten sie sagen: nimm uns, Streuner, nimm uns. Wer könnte da wiederstehen.
Ich ging also ans Werk. Anfänglich lief auch alles völlig nach Plan. Die Gesellschaft war so abgelenkt von dem vielen Essen (dem vielen Wein nicht zu vergessen, um den wollte ich mich später kümmern), den Zirkusartisten, den Windlingen und der allgemeinen sehr heiteren Stimmung, dass ich mich völlig frei und unbekümmert unter ihnen bewegen konnte. Ich stahl etwas Gold von drei Kaufleuten, bei denen ich eh noch Schulden hatte, und besorgte mir ganz unauffällig etwas Wein und beobachtete die feiernde Gesellschaft. Den Windlingen ging ich so gut ich konnte aus dem Weg. Leider leider leider, war mir das Glück nicht hold, als ich versuchte von einem fetten reichen Pinkel ein kleines Beutelchen zu leihen, das ganz verzückend danach aussah als könnte es Tabak und vielleicht auch etwas Tobak enthalten. Nun ja, was soll ich sagen. Ich wurde ertappt und meine Tarnung war dahin. Alle wurden auf den Streit aufmerksam. Es kam sogar noch zu einer kleinen – ich möchte sagen – Rangelei zwischen mir und diesem egoistischen Vogel, der mir nichtmal ein bisschen von seinem Tobak abgeben wollte. Die Rangelei wäre ja nicht das Problem gewesen, wenn nur nicht Jaran in diesem Moment aufgetaucht wäre und dem Ganzen ein Ende gemacht hätte. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie muss ich einfach auf ihn hören. Es geht nicht anders ... schließlich war er es, der mich in den schlimmsten Zeiten aufgenommen hat… direkt nach Gerdorns schrecklichem Verrat. Er zerrte mich ins große Festzelt, dass direkt neben dem Gasthaus aufgebaut war und ließ mich beim Bierfass zurück. Guter Jaran. Ich beschloss mich erstmal zu entspannen.
Und dann sah ich den Krieger, über den die Gerüchte gesprochen hatten. Ich meine, ich habe ja schon wirklich viele Krieger, viele Söldner und viele andere harte Kerle gesehen, aber dieser war nun wirklich beeindruckend. Sein völlig ausdrucksloses Gesicht passte wirklich gut zu dem schrankartigen Körperbau. Arme dicker als meine Oberschenkel. Und Hände, die mit Sicherheit schon viel nunja… ausgerichtet haben. Meine Gedanken schweiften gerade ab hin zu einer wahnsinnigen Vision, in der ich diesen Krieger pöbelnd zum Zweikampf herausforderte und ganz fürchterlich verprügelt wurde, als ich das goldene Haar aus meinen Träumen erblickte.
Der Krieger, der mir gerade in einem schon abklingenden Bild vor meinem geistigen Auge den Unterkiefer brach, stand dort und unterhielt sich mit einer sehr jungen und kleinen Frau mit goldenen Haaren. Ich hatte so oft von diesen goldenen Haaren geträumt und konnte es mir nie erklären, aber von diesem Moment an wusste ich es. Es war nicht die Nutte Rosa aus Berts Billigem Bordell, bei der ich mich gefragt hätte, ob das Schicksal nicht doch ein alter schratiger Mann mit einem merkwürdigen Humor sein muss. Es musste sie gemeint sein. Sie war wirklich ein absoluter Blickfang. Ihre Haare waren lang und sahen sehr edel aus, sie hatte große Augen und einen sehr reservierten und einnehmenden Blick. Ich stutzte. Irgendwas regte sich beim Anblick dieser Frau in mir. Eine wage Erinnerung. Nach einer halben Flasche Wein fiel es mir wieder ein. Sie sah aus wie eine Thyrnerin. Ich merkte wie die Erinnerungen drohten mich zu erschlagen und trank schnell die Flasche leer. Irgendwann erzähle ich euch von meiner Zeit bei den Thyrnern… aber nicht jetzt.