Schwerttanz
Der Greis hob seien Stab und hielt ihn senkrecht vor seine Stirn, dann stieß er ihn mit aller Kraft in den sandigen Boden. Er nahm den Faden und befestigte ihn an der Ausbuchtung der Spitze. Er entfernte sich langsam rückwärts gehend von dem feststeckenden Stab, bis der Faden sich spannte, dann zog er mit der Spitze seines Schwertes eine kreisrunde Furche, vielleicht fünfzehn Schritt im Durchmesser. Dabei gab er unentwegt einen Singsang von sich, dessen Inhalt mir zunächst verborgen blieb. Als der Kreis vollendet war, entfernte er Stab und Faden und ließ sich von den beiden Kontrahenten ihre blanken Klingen aushändigen. Er kehrte zurück in die Mitte der errichteten Arena und legte die Schwerte so hin, dass sie sich kreuzten. Er sprach einige rituelle Worte, die ich mir später wiefolgt übersetzte:
"Licht trifft auf Schatten. Chaos auf Ordnung. Leben auf Tod. Tanzt den Tanz der Klingen, Kinder der Sonne und des Mondes. Auf das die Harmonie zurückkehre." Er wandte sich an den Herausforderer. "Bis auf welches Blut soll gekämpft werden?" "Bis aufs dritte Blut." Er wandte sich an den Herausgeforderten. "Seid ihr einverstanden?" "Ich nehme die Forderung an." "So soll es sein."
Er verfiel erneut in den auf- und abschwellenden Singsang. Die Kontrahenten nahmen an gegenüberliegenden Enden des Kreises ihre Position ein, ein Knie und eine Faus auf dem heißen Sand ruhend. Es schien eine ganze Weile nichts zu gegen außer der konzentrierten Ruhe und der Stimme des Alten. Dann verstarb der Gesang und die Tänzer begannen ihren Tanz.
- Auszug aus den Aufzeichnungen des Mamercus Porcius Mucus
Die Shinji Oto pflegen viele Rituale. Eines ihrer heiligsten ist die Kunst des Schwerttanzes, eines magischen Kampfrituals, dessen Beherrschung von den Kriegern des Hauses Qom von Generation zu Generation weitergegeben wird. Es heißt, ursprünglich hätten alle edlen Kämpfer des Landes die Kunst des Ringtanzes beherrscht, doch nach der Stille ist nur einem Haus das Tragen der Schwerter erlaubt und das Erlernen des Rituals, geschweige denn die Praxis, unter Androhung des Todes verboten.
Die genauen Details des Tanzes sind mannigfaltig und komplex, jedoch lässt sich mittels der Kenntnis meisterlichen Schwertkampfes und arkaner Analyse feststellen, dass der Schwerttanz die Verbindung eines fließenden, temporeichen Schwertkampfes mit einem zweiten, nicht minder tödlichen Duell auf arkaner Ebene darstellt. Das Ritual vor dem Kampf, die Einrichtung des Kreises (durch den älteren Kämpfenden, selten durch einen richtenden Meister) und eine nicht weiter erforschte theologische Komponente (die Gesänge zu den Göttern) schwingen den Kampfplatz und die Kombattanten auf astraler Ebene ein und ermöglichen ihnen, die entsprechenden Kentnisse und Fähigkeiten voraussgesetzt, Aktionen unageahnter Gescwhindigkeit und Präzision bis über die Grenzen des physisch möglichen hinaus. Bei Kämpfen mit Schwertmagiern, die Meister des Schwerttanzes darstellen, kann jeder vergossene Blutstropfen während des Kampfes das arkane Potential des Kreises weiter aufladen.
Auf die Schwerter selbst sind persönliche, häufig ein Leben lang an die Schwerttänzer gebundene, magische Einzelstücke. Mythen zufolge hatten die Schwerter der ersten Schwerttänzer die Gabe, die Seele des ersten Feindes, den sie im Ring besiegten, zu stehlen und seine Charaktereigenschaften in sich aufzunehmen.
Schwerttänze sind in der Gegenwart fast ausschließlich rituelle Danksagungen an die Götter und werden bis aufs ersdte, seltener bis aufs zweite Blut ausgetragen. Der Kampf bis zum Tod ist eine große Ausnahme und findet meistens statt, wenn die Ehre einer Familie wiederhergestellt werden soll; entweder durch den Tod eines Mannes, der sie in Frage gestellt hatte, oder durch den Freitod des Herausforderers, der einen hoffnugnslos überlegenen Adligen herausfordert, um durch sein Opfer die Schande von seinem Blut zu waschen.